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Ein Blick in die Londoner Savile Row (Foto: Bernhard Roetzel) |
Im Jahr 2003 hatte ich Gelegenheit, Andrew Ramroop für eine Schneiderfachzeitschrift zu interviewen. Auch wenn seitdem viel Zeit vergangen ist, sind die Antworten immer noch aufschlussreich. Die Preise aus der Savile Row stimmen natürlich nicht mehr, sie sind inzwischen noch weiter gestiegen.
Andrew Ramroop ist Inhaber des Londoner Maßateliers Maurice Sedwell (Savile Row) Ltd., Bespoke Tailors, Präsident der Master Craftsmen's Association und erster und einziger Professor für Maßschneiderei am London Institute. Ramroops große internationale Kundenschar ist Beweis genug für sein Können, zusätzlich unterstreichen zwei Auszeichnungen den Erfolg seiner Arbeit. Er erhielt den „Men of Merit Award for Achievement in Bespoke Tailoring“ und sein Unternehmen wurde als „International Business of the Year in Minority Business“ ausgezeichnet.
Frage:
Wie beurteilen Sie das Qualitätsniveau der Schneider im Londoner West End?
Antwort:
Die Schneider des West End repräsentierten immer die Spitze der Qualität mit ihrer weichen Verarbeitung und der großen Betonung auf Schnitt, Passform und Endfertigung. Sie laufen derzeit aber Gefahr, ihre weltweite Führungsrolle in der Maßschneiderei zu verlieren, weil eine neue Welle von Schneidern ihr Geschäft auf der Basis des guten Rufs der Savile Row betreiben, ohne den hohen Qualitätsstandard zu liefern, durch den diese Straße berühmt geworden ist.
Frage:
Wie funktioniert das Ausbildungssystem in Großbritannien? Ist es effektiv? Wo liegen die Schwächen?
Antwort:
Wir haben im Moment eine Mischung aus Fachschul- und Werkstattausbildung. Um Schneider für die Zukunft auszubilden, ist das System, Lehrlinge direkt in der Schneiderwerkstatt zu schulen, am effektivsten. Die größte Schwäche ist der Mangel an guten Lehrkräften in den Fachschulkursen.
Frage:
Welches ist das gängigste Zuschneidesystem in Großbritannien?
Antwort:
Es gibt bei uns kein „gängiges Zuschneidesystem“. Die Schneider schneiden nach den Regeln zu, die sie von ihren Lehrern gelernt haben. In meinem Betrieb werden die Grundregeln des Zuschneidens ohnehin nur als Leitlinie gesehen. Viel wichtiger ist bei uns die Anprobe, bei der wir dann die Passform erreichen, die von uns erwartet wird.
Frage:
Wie lange dauert die Ausbildung von Schneidern? Gibt es so etwas wie einen Meistertitel im deutschen Sinne?
Antwort:
In Schneider-Fachschulen dauert der Kurs nur ein Jahr, das ist nicht genug. In den Werkstätten dauert das Ausbildungsprogramm vier Jahre. Letztendlich wird die Dauer der Ausbildung aber vom Talent und von den Fähigkeiten des Einzelnen vorgegeben.
Frage:
Die Savile Row hat immer Einflüsse aus anderen Ländern aufgenommen. Was waren früher die wichtigsten Einflüsse, welche sind es heute?
Antwort:
Während der dreißig Jahren, die ich in der Savile Row verbracht habe, waren wir führend in Sachen Stil, Eleganz, Schnitt, Passform und Endfertigung. Unser Ziel ist es, die Standards der Handwerkskunst zu erhalten, für die unsere Vorgänger berühmt waren. Die Einflüsse sind heute durch Stoffdesign, leichtere Einlagen und Futterstoffe stärker erkennbar. Kreative Stoffdesigns sind heute die Norm in der Savile Row.
Frage:
Glauben Sie, dass die Savile Row überleben wird? Wenn ja, in welcher Weise?
Antwort:
Als Antwort erzähle ich Ihnen eine wahre Geschichte. Als Maurice Sedwell 1928 seine Schneiderlehre begann, sagte man ihm, dass die Savile Row keine Zukunft habe und er besser ein anderes Handwerk erlernen sollte, z. B. die Tischlerei. Herr Sedwell war aber entschlossen, Schneider zu werden, lernte gut und eröffnete 1938 ein eigenes Geschäft. Heute blickt die Firma Maurice Sedwell Ltd. auf eine über 65-jährige Geschichte zurück. Die Savile Row wird überleben, solange wir unsere hohen Standards bewahren und weiterhin mehr liefern, als der Kunde erwartet. Jede Firma, die außerordentliche Qualität und überdurchschnittlichen Service bietet, wird überleben. Schwierig wird es, wenn wir die Zukunft planen wollen – und da sind wir wieder beim Thema Ausbildung.
Frage:
Gibt es Versuche, der Öffentlichkeit den Wert des Erbes bewusst zu machen, den die Schneidertradition darstellt?
Antwort:
Die Master Craftsmen’s Association (Verein der Schneidermeister) überlegt, einen erfahrenen PR-Spezialisten zu engagieren, der uns dabei hilft, das Medieninteresse zu erzeugen, das wir benötigen, um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Außerdem planen wir öffentliche Schneiderschauen, um ein großes Publikum für die Feinheiten der Maßschneiderei zu interessieren.
Frage:
Die Preise in der Savile Row sind in den letzten Jahren stetig gestiegen. Wie weit soll das noch gehen? In welcher Weise will man einen Preis von 3000 Pfund rechtfertigen (ca. 4500 Euro)?
Antwort:
3000 Pfund stellen ein hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis dar, wenn man den Service bedenkt, den der Kunde genießt. Ich habe Kunden in 49 Ländern, und es ist der Wert unserer Schneiderei, durch den wir viel zu tun haben. Wenn Sie bedenken, dass es fast 130 Stunden dauert, bis ein Auftrag fertig ist, und dann einen Stundenlohn errechnen, kommt Sie die handwerkliche Schneiderei ziemlich günstig.
Frage:
Als ich die Werkstatt einer berühmten Savile-Row-Schneiderei besuchte, war ich überrascht, dass die Einlagen der Taschenpatten fixiert wurden. Wie steht es heute wirklich um die „Handarbeit“ in London?
Antwort:
Sie haben das falsche Atelier besucht. „Fixierung“ ist hier ein Schimpfwort, vor allem in meiner Firma, denn ich bin absolut dagegen. Die Werkstatt, die Sie besichtigt haben, mag vielleicht berühmt sein, aber nicht für seine Schneiderei. Über 75 Prozent der Arbeit, die wir in einen Anzug stecken, wird von Hand ausgeführt, lediglich ein paar senkrechte Nähte werden mit einer Maschine genäht. Fixierung kommt überhaupt nicht in Frage.
Frage:
Wie beurteilen Sie die Schneider anderer Länder? Was halten Sie von den deutschen Kollegen?
Antwort:
Ich war bei vielen Weltkongressen und ich war nicht sehr beeindruckt von der Schneiderei der Länder, die ihre Herrenbekleidung dort präsentierten. Damit meine ich, dass man bei den Fertigungsmethoden Kompromisse zugunsten der maschinellen Methoden gemacht hat, entgegen den Traditionen der Handwerkskunst. Bei den Weltkongressen konnten nur zwei Länder die Standards erreichen, die ich mir wünsche: Frankreich und Deutschland.