Wenn Maßkonfektion gut ist, hat sie viel für sich
Auf Anhieb zufrieden - der neue Anzug von Cove & Co. passt hervorragend. Und er ist auch hervorragend verarbeitet. Die Handknopflöcher sind von erster Güte, die handgenähten Kanten ebenfalls (Foto: Erill Fritz). |
Der Londoner Herrenschneider John Coggin, der von 1998 bis 2006 zahlreiche Anzüge für mich gemacht hat, erklärte den Unterschied zwischen Konfektion und "bespoke tailoring" so: "Ich habe zwei Anproben, um den Anzug passend zu machen, der Modellmacher beim Konfektionär ein paar Dutzend." Damit wollte John Coggin sagen, dass der Schnitt eines Konfektionsanzuges so lange optimiert wird, bis er die Anforderungen erfüllt. Für den Maßanzug hat der Schneider dagegen nur zwei, ausnahmsweise drei Versuche. Die Maßkonfektion ist mit ihrer Arbeitsmethode irgendwo zwischen diesen beiden Extremen anzusiedeln. Die Schlupfmuster, die der Maßkonfektionär dem Kunden anzieht, sind nach erprobten Grundschnitten gefertigt. Man muss das Rad also nicht jedes Mal neu erfinden, um einen für den Kunden passenden Anzug zu machen. Nun ist es natürlich nicht so, dass der Maßschneider jedes Mal wieder bei Null anfängt. In Deutschland und Österreich arbeiten die meisten Handwerker nach dem Zuschneidesystem von Müller & Sohn aus München, sie übersetzen mit dessen Hilfe die genommenen Maße unter Berücksichtigung gewisser "Wuchsabweichungen" in einen Anzugschnitt. Andere Schneider verwenden eigene Systeme.
Viele Londoner "bespoke tailors" arbeiten mit "pattern blocks", also Schablonen für die Einzelteile des Anzugs, die an die Maße und die Figur des Kunden angepasst werden. Es gibt auch Schneider, die sich Schnittmuster aus der Konfektion ausleihen und für ihre Kunden modifizieren. Das ist alles legitim. Entscheidend für den Kunden ist allein das Ergebnis. Sehr dicht an der Arbeitsweise der Maßkonfektion ist die Methode der traditionsreichen Maßschneidereien, deren Anzüge einen bestimmten Look haben, den so genannten "house style." Jacken von Gennaro Solito in Neapel sind leicht zu identifizieren, so wie auch die Anzüge von H. Huntsman aus der Savile Row. Wenn der Kunde in solchen Schneidereien Wünsche äußert, die dem Stil des Hauses extrem zuwiderlaufen, wird er sich selten durchsetzen können. Insofern ist es kein Ausdruck mangelnder Individualität, wenn man bei einem Maßkonfektionär einen Anzug bekommt, dessen Grundlinie durch das Schlupfmuster vorgegeben ist. Wenn diese Linie dem Kunden gefällt, wird vor bösen Überraschungen bewahrt. Denn schon beim Maßnehmen sieht er ja an dem Probierteil, wie der Anzug später in etwa aussehen wird.
Mein erster Handmade-Anzug von Cove & Co. war ein Dreiteiler aus Seersucker-Stoff. Er war auf Anhieb sehr gut gelungen. Die Nr. 2 wurde aus einem dunkelblauen, mittelschweren Wollfresko gemacht, der bei Cove & Co. am Lager ist. Die Stoffe waren sehr unterschiedlich, dennoch ähneln sich die beiden Anzüge wie ein Ei dem anderen. Das ist nur für den bemerkenswert, der schon einmal mehrere Anzüge von einem Schneider hat anfertigen lassen. Handwerklich gemachte Anzüge fallen nämlich selten identisch aus, in aller Regel gibt es Abweichungen, die vom Handwerker meistens mit der unterschiedlichen Beschaffenheit der Stoffe erklärt wird. Ich war angenehm überrascht, dass der Fresko-Anzug genau wie der erste Dreiteiler saß. Und das wohlgemerkt ohne Anproben. Der Maßschneider probiert jeden neuen Anzug mindestens einmal. Und das durchaus nicht als Show-Effekt. Die Anproben sind tatsächlich nötig. Nur ausnahmsweise stellen manche Schneider Anzüge für Stammkunden ohne Anproben fertig, üblich ist das beispielsweise bei Londoner Häuser, die viele Kunden bei Trunkshows in Übersee bedienen.
Konfektionskauf ist Glückssache. Maßschneiderei manchmal aber auch. Maßkonfektion ist dagegen Maßschneiderei mit Fangnetz. Die neapolitanischen Anbieter handgemachter Konfektion wissen das schon lange. Bei deren Trunkshows wird zwar der große Schneiderzauber geboten, tatsächlich werden die Schnitte der Konfektion nur minimal abgeändert. Was in aller Regel dann auch ausreicht. Nur für Kunden mit extrem schwieriger Figur muss ein individuelleres Modell entwickelt werden. Doch auch da helfen die vorhandenen Schnitte aus. Demnächst teste ich bei Cove & Co. die Standardverarbeitung. Die beiden ersten Anzüge wurden von Hand gearbeitet, sie entsprechend qualitativ dem Produkt einer Maßschneiderei oder dem der guten italienischen Manufakturen. Das macht die Handmade-Linie von Cove & Co. natürlich etwas teurer, beim nächsten Anzug teste ich die gute Mittelklasse.
1 Kommentare:
Ich habe auch gleich mehrere Maßanzüge im Repertoire, um immer gut auszusehen, wenn sich die Gelegenheit ergibt.
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite