Anlass, Form und Inhalt
Bei der Veranstaltungsreihe "Der Gentleman und die Musik", ging es vor Gästen von Cove & Co. und Steinway & Sons um Konzertformen und die dazu passende Kleidung (Foto: Cove & Co.) |
"Warum soll ich mir für einen Theaterbesuch einen Anzug anziehen, wenn sich die Schauspieler nackt auf dem Bühne herumwälzen"? Diese Frage stellte mir ein Freund, als ich mich mit ihm über die Bekleidung der Besucher kultureller Veranstaltungen unterhalten habe. Um diese Frage ging es in diesem Jahr auch bei der Veranstaltungsreihe "Der Gentleman und die Musik". Trübt es meinen Kunstgenuss, wenn die Mitbesucher von Theater, Oper oder Konzert in Jeans und Sweatshirt dem Vortrag lauschen? Das hängt vor allem von mir selbst ab. Lasse ich mich durch die Kleidung der anderen stören? Oder konzentriere ich mich lieber auf die Darbietung? Wenn man das Thema ein wenig erweitert, also auf das Erscheinungsbild der Menschen in der Öffentlichkeit, stellt sich die Frage ein wenig anders. Warum erwarte ich, dass sich jemand für einen kulturellen Anlass fein macht, wenn Anlässe generell kein Grund mehr zu sein scheinen, sich abweichend vom Alltag zu kleiden? Und wenn in vielen Berufen keine Bekleidungsregeln mehr vorgegeben sind, gibt es für die meisten überhaupt keinen Grund mehr, Anzug, Hemd und Krawatte zu wählen. Aus freien Stücken, also z. B. aus Freude an einer bestimmten Ästhetik, werden diese Kleidungsstücke jedenfalls nur selten hervorgeholt. Viele Männer hängen mit dem Ende des Berufslebens den Anzug für immer in den Schrank. Der Anzug ist Symbol von Zwang, Freizeitkleidung hingegen steht für Freiheit. Die Ästhetik bleibt bei dieser Betrachtungsweise außen vor. Dabei steht für mich fest, dass Anzug, Hemd und Krawatte den Mann einen Mann gut kleiden. Er muss deshalb nicht auf Freizeitkleidung verzichten. Den Anzug aber ganz aus der Garderobe zu verbannen, wäre für mich jedoch genauso töricht, wie der Entschluss, nur noch am Imbissstand essen zu gehen. Der Anzug symbolisiert für mich nicht Zwang, er steht vielmehr für Form. Form kann nicht den Inhalt ersetzen, Form kann dem Inhalt aber einen Rahmen geben. Und manchmal kann dieser Rahmen sogar schöner sein als der Inhalt. Geschadet hat ein schöner Rahmen jedenfalls noch nie.