Schneider, Anzug und Treue
Ob man zufrieden mit seinem Schneider ist, hängt von dessen Können ab, den eigenen Erwartungen und der Chemie zwischen ihm und einem selbst (Foto: Bernhard Roetzel) |
Man muss oft sehr lange suchen, bis man einen guten Maßschneider gefunden hat. Die lange Suche und die Freude über ihren guten Ausgang führt dazu, dass man wie selbstverständlich diesem Handwerker treu bleibt. Jedenfalls so lange, bis man ihm aus unterschiedlichen Gründen untreu wird.
Es ist kein Zufall, dass die Beziehung zum Schneider mit Treue in Verbindung gebracht, einem Begriff, der an die Ehe gemahnt. Das Verhältnis zwischen Schneider und Kunde ist sehr persönlich und mit sehr vielen Erwartungen verknüpft. Bei der Ehe plädiere ich für absolute Treue, beim Schneider empfehle ich dem Kunden dagegen Sprunghaftigkeit.
Ich habe schon an anderer Stelle geäußert, dass man den Schneider wechseln sollte, wenn der erste Anzug gut geworden ist. Wenn der erste Anzug nicht gut war, kann der zweite besser werden. Natürlich kann der schlechte erste Anzug auch ein Hinweis darauf sein, dass es niemals etwas werden wird mit diesem Schneider und diesem Kunden. Wenn der Anzug aber gut war, sollte man eigentlich zum nächsten Schneider gehen. Denn nach einem guten Anzug noch einen guten Anzug zu machen, ist für den Schneider nicht leicht. Denn für den Kunden ist es fast unmöglich, mit dem zufrieden zu sein, was den ersten Anzug gut sein ließ. Der Kunde will den guten Anzug verbessern und macht ihn dadurch schlechter. Entweder, weil er nun plötzlich vom Schneider Ideen umsetzen lassen will, die als Idee nett sind aber den Anzug nicht weiterbringen. Oder aber, weil der Schneider nun unsicher wird. Vielleicht auch, weil der Schneider sich seiner Sache und des Kunden schon sicher ist und nicht mehr alles gibt beim zweiten Auftrag.
Ich weiß, dass kaum jemand meinen Rat befolgen wird. Die Suche nach einem guten Schneider kostet eben viel Zeit. Darum sollte man vielleicht einfach nur versuchen, mit dem ersten guten Anzug zufrieden zu sein und zufrieden zu bleiben.
4 Kommentare:
Danke für diesen nützlichen Ratschlag!
Ich hätte allerdings einige Rückfragen: Nach Ihrer eigenen Aussage sind Sie ja John Coggin über einen langen Zeitraum treu geblieben und haben etliche Ihrer Maßanzüge bei ihm fertigen lassen. War es dabei tatsächlich so, dass nach dem "sagenumwobenen" allerersten Maßanzug der zweite etwas enttäuschender war? Betraf das nur den Style oder auch die Verarbeitungsqualität? Und welche Schneider haben Sie parallel zu Coggin "ausprobiert"? Ich hoffe, dass diese Fragen nicht zu indiskret sind und würde mich über eine Antwort sehr freuen!
Vielen Dank im Voraus!
sehr guter Beitrag
Die Verarbeitungsqualität ist bei meinen Londoner Anzügen relativ gleich. Wobei es minimale Schwankungen gibt, die ich unter "Handschrift" der verschiedenen Großstückschneider verbuchen würde. In den letzten Jahren hat John einige meiner Sachen auch wirklich selbst genäht, z. T. bis hin zu den Knopflöchern. Ich spreche mehr von stilistischen Details. Ich habe festgestellt, dass Schneider manchmal blockiert sind, wenn man ihnen zu viele Details vorgibt.
Ich habe Schneider in Österreich, Italien und Deutschland probiert.
Sehr geehrter Herr Roetzel,
Wäre es möglich zu erfahren mit welchen österreichischen Schneidern Sie Erfahrungen gemacht haben, respektive wie diese ausgefallen sind?
Herzlichen Dank im Voraus
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