Alte Regeln neu entdecken
Benimmführer veralten genauso schnell, wie Automodelle. Manchmal allerdings nur äußerlich (Foto: Bernhard Roetzel) |
Ich lese gern in Benimmführern aus der Vergangenheit. Es ist amüsant und lehrreich nachzublättern, was vor gar nicht einmal so langer Zeit noch als üblich oder unartig angesehen wurde. Einige der Konventionen, die scheinbar oder tatsächlich in der Versenkung verschwunden sind, verdienen es, wieder hervorgeholt zu werden:
1. Ein Herr reicht nicht der Dame die Hand
Früher galt es als Zeichen schlechter Kinderstube, wenn ein Mann der Frau die Hand entgegenstreckt. Er musste vielmehr warten, bis sie ihm die Hand reichte. So sollten wir es wieder halten.
2. Der Mann erhebt sich, wenn eine Frau an den Tisch tritt
Ich saß vor einiger Zeit in netter Runde in einem Charlottenburger Restaurant. Eine Frau kam an den Tisch und alle Männer schossen aus den Sitzen. So gehört es sich. Auch wenn die meisten Anwesenden irritiert bis amüsiert zusahen.
3. Dankesbriefe
Heutzutage werden sogar Geburtstagsgrüße per E-Mail verschickt. Kaum verwunderlich, dass dann schon gar niemand mehr seinen Dank per Brief ausdrückt. Ich halte es für stilvoll und artig, sich z. B. für ein Essen oder eine Übernachtung schriftlich zu bedanken.
4. Das Ende finden
Wenn auf der Einladung steht, dass der Cocktail von 19 bis 21 Uhr dauern soll, dann ist dies auch so gemeint. Es ist ungezogen, über das angekündigte Ende hinaus zu bleiben. Selbst, wenn der Gastgeber zum Bleiben auffordert.
5. Die Erlaubnis, zu rauchen
Ich selbst bin Nichtraucher, dennoch erlaube ich es Gästen, zu rauchen. Und zwar nicht im Garten oder am offenen Fenster, sondern in einem der Räume, in denen die Geselligkeit stattfindet. Es widerspricht meiner Auffassung von Gastfreundschaft, dem Besucher einen Genuss zu versagen.
6. Das Verbot, zu kritisieren
Offenheit und Ehrlichkeit sind wichtig. Aber nicht überall und bei jeder Gelegenheit. Als Gast und als Gastgeber sollte man sich an die alte Regel erinnern, dass Kritik unerwünscht ist (siehe auch Punkt 5). Der Gentleman genießt und schweigt und er leidet und schweigt.
12 Kommentare:
1., 2., 4. und 6. sehe ich genau so. 3. und 5. kann ich zumindest nachvollziehen.
Gerade Punkt 5 teile ich inhaltlich voll und ganz. Für mich gehört zu einem schönen Abend auch der Genuss einer Zigarre, die man eben nicht "mal kurz" auf der Terrasse wegraucht.
Ein weiteres Phänomen ist der Verfall der Barkultur. Die Auswahl an (hochwertigen) Spirituosen in der Hausbar scheint immerweiter zu schrumpfen. Der klassische Abschluss eines Mahls in Form von Kaffee, Konfekt, Digestif wird auch seltener... aber das ist ein anderes Thema.
- Donatus
Sehr geehrter Herr Rötzel,
Zu ihrem Punkt 5. Es widerstrebt ihnen einem Gast einen Genuss zu versagen? Es sollte ihrem Gast widerstreben Sie einem gesundheitsschädlichen, stinkenden Rauch auszusetzen.
Es ist eine Frage der Konvention, was als akzeptabel angesehen wird und was nicht. Ein Beispiel: Es würde keinem Gast einfallen in den Gesellschaftsräumen zu furzen. Obwohl dies unter ihren Begriff von Genuss fallen würde.
Desweiteren könnte man noch andere Beispiele geben: Z.B. Prostituierte sind auch ein Genussmittel, würden aber in einem Gesellschaftsraum anstößig wirken. Ich denke Sie sollten ihre Einstellung zu ihrer Definition von Gastfreundschaft noch einmal Überdenken.
Hochachtungsvoll NLL
Sehr geehrter Herr Rötzel,
Zu ihrem Punkt 5. Es widerstrebt ihnen einem Gast einen Genuss zu versagen? Es sollte ihrem Gast widerstreben Sie einem gesundheitsschädlichen, stinkenden Rauch auszusetzen.
Es ist eine Frage der Konvention, was als akzeptabel angesehen wird und was nicht. Ein Beispiel: Es würde keinem Gast einfallen in den Gesellschaftsräumen zu furzen. Obwohl dies unter ihren Begriff von Genuss fallen würde.
Desweiteren könnte man noch andere Beispiele geben: Z.B. Prostituierte sind auch ein Genussmittel, würden aber in einem Gesellschaftsraum anstößig wirken. Ich denke Sie sollten ihre Einstellung zu ihrer Definition von Gastfreundschaft noch einmal Überdenken.
Hochachtungsvoll NLL
Sie werfen interessante Fragen auf.
Wenn einem Gast unabsichtlich Darmwinde abgehen und ich das als Gastgeber bemerke, würde ich das Missgeschick ignorieren (gemäß Punkt 6). Wenn ein Gast absichtlich und aus Genuss seinen Blähungen freien Lauf lassen würde, wäre das natürlich irritierend, bisher habe ich das zum Glück noch nicht erlebt.
Prostituierte sind nach meiner Auffassung keine Genussmittel, da Menschen keine Mittel sind. Gleichwohl empfindet manch einer das Zusammensein mit Prostituierten als Genuss. Wenn ein Gast deswegen beschließen würde, in Begleitung einer Prostituierten zu erscheinen, sich die beiden dann aber anständig benehmen, hätte ich damit kein Problem. Wenn die Prostituierte überhaupt also solche erkennbar wäre.
Zu Punkt 5. Stimme voll und ganz zu. Es sprengt den Abend, wenn die Raucher ständig rausrennen. Am besten noch alle zusammen. Es hat auch noch niemanden umgebracht einen Abend lang passiv zu rauchen.
Allerdings sollte man als Raucher auch den Anstand haben,wenn man der Einzige ist, oder in einer krasen Minderheit, eventuell trotzdem raus zu gehen.
Früher war ich starker Raucher. Trotz allem wusste ich mich zu benehmen: Ich ging nach einem guten Essen vor die Tür und verbrachte den restlichen Abend nach Möglichkeit im Kreise. Als Raucher ist es nicht nötig den ganzen Abend Zigaretten zu rauchen. Gibt es einen großen Raucherkreis kann man sich zu einer kurzen Zigarette verabreden, bitte immer mit Rücksicht auf die Zeit der anderen Gäste und vor allem des Gastgebers - aber bitte nicht jede halbe oder volle Stunde. Wer es so nötig hat sollte vielleicht nur Einladungen zum Grillen im Sommer oder sonstige Veranstaltungen mit Raucherraum annehmen.
Als Rauchgenießer guter Zigarren weiß ich mich noch heute zu benehmen: Ob als Gastgeber oder Gast, ich weiß wo und wann ich ein gutes Glas mit einer guten Zigarre kombinieren kann. Ist dies bei diversen Gastgebern nicht möglich, oder im Kreise bestimmter Gäste, habe ich dafür Verständnis. Bin ich eingeladen habe ich auch immer mindestens eine gleich gute Version der Zigarre, welche ich selbst rauche, für den Gastgeber dabei. Möchte dieser nicht, erlaubt aber den Genuss, teile ich diese gerne mit einem Gast.
Rauchen ist noch immer schädlich vor allem für die außenstehenden Nichtraucher. Dazu muss ein jeder Raucher Einsicht üben, denn schließlich ist nicht für jeden Nebenstehenden der blaue Dunst ein Genuss - auch wenn es nur tiefste Vorurteile sind.
Ergebenst Ihr
ALE
Punkt 5. scheint - wen wundert es - am meisten zu interessieren. Es scheint aber so, dass die meisten hier doch einen vernünftigen Standpunkt vertreten. Ich als wenig genussvoller Zigarettenraucher muss nicht in fremden Räumen rauchen. Ich gehe auch gerne dafür nach draußen. Ist es erlaubt, freue ich mich umso mehr. Daheim rauche ich alleine nicht in den Räumen, Gästen gestatte ich es jedoch. Die meisten bieten von sich aus an, nach draußen zu gehen. Wird es entsprechend spät, leidet diese Disziplin dann bei allen meist etwas - dann war der Abend aber auch gelungen
sehr guter Beitrag
Ich sehe alle beschriebenen Punkte wie Herr Roetzel und ausdrücklich auch Punkt 5. Ich habe diese Meinung mit exakt der gleichen Begründung vor einiger Zeit in einem SZ-Forum so geäußert und es hagelte Kritik ohne Ende. Was für eine Erleichterung, dass Sie es genau so sehen, Herr Rotzel. Ähnliches Thema: Schuhe anlassen.
In Foren äußere ich mich nie!
Punkt 2 sollte man heute wegen der Gleichberechtigung erweitern: Jeder, ob Herr oder Dame, sollte sich erheben, wenn eine Person (weiblich oder männlich) an den Tisch tritt. Eine solche Geste drückt einfach einen gewissen Respekt aus, auf den jeder Anspruch hat.
Auch wäre es z. B. oft viel bequemer, wenn man sich einfach gegenseitig in den Mantel hilft, unabhängig vom Geschlecht. Dann könnten Frauenrechtlerinnen diese Geste neutral sehen und nicht widerwillig ablehnen. Wenn mir so etwas passierte, würde ich antworten: "Ich nähme denselben Dienst auch von Ihnen an."
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