Warum in die Ferne schweifen? Teil 1
Durch Zufall (oder Fügung) wurde ich Kunde bei Tobias Tailors in der Savile Row. Leider musste die Schneiderei wegen der hohen Mienten vor einigen Jahren schließen (Foto: Bernhard Roetzel) |
Mein Faible für die englische Maßschneiderei ist bekannt. In zahlreichen Artikeln und Vorträgen habe ich das Loblied der Savile Row gesungen und die meisten meiner Anzüge stammen auch daher. Dennoch habe ich mich immer sehr für die deutsche Maßschneiderei interessiert. Dies war Thema eines Artikels, den ich in vorigen Ausgabe der "Rundschau der Herrenmode" veröffentlicht habe. Ich publiziere ihn nun auch hier in mehreren Teilen.
Als ich Ende der achtziger Jahre in Hannover studierte und mich für handgemachte Kleidung zu interessieren begann, wurde ich das erste Mal auf die Maßschneiderei als Handwerk aufmerksam. Ganz in der Nähe meiner Wohnung lag die Werkstatt des Schneidermeisters Walter Krautheim. Ab und zu kam ich an dem schmalen Schaufenster seines Ateliers in der Jakobistraße vorbei und blieb immer eine Weile davor stehen, um die darin ausgestellten Kleidungsstücke zu betrachten. Es gab damals hervorragende Herrenausstatter in der niedersächsischen Landeshauptstadt, deren Auslagen das Beste zeigten, was damals in italienischen Manufakturen gefertigt wurde, das kleine Fenster bei Krautheim faszinierte mich aber viel mehr. Einmal war ein Sakko aus schwerem, fast kratzig aussehendem Tweed ausgestellt. Man sah überall die weißen Heftfäden aus Baumwolle, die Revers waren noch nicht mit dem Oberstoff besetzt, ich konnte die Pikierstiche und das Leinen mit den eingewebten Rosshaarfäden ausmachen. Wenn man in die Werkstatt hineinspähte, war der Schneidermeister bei der Arbeit zu sehen. Hier wurde Kleidung noch richtig von Hand gemacht. Das beeindruckte mich.
Irgendwann habe ich mich in den Laden hineingewagt. Vorwand war die Änderung eines Sakkos. Der Preis war deutlich höher als das, was ich gewöhnt war. Doch Walter Krautheim argumentierte, dass er Herrenschneidermeister sei und ganz anders arbeitet, als die Änderungsschneider. Oft hätten die nur in Textilfabriken das Nähen gelernt, keinesfalls besäßen sie aber einen qualifizierenden Abschluss. Das überzeugte mich und die Änderung wurde dann auch wirklich bestens ausgeführt. Als ich vor einigen Tagen in Hannover anrief, um einige Daten zu recherchieren, hatte ich Jörg Krautheim am Telefon. Er hat 1993 das Geschäft von seinem Vater übernommen. Walter Krautheim hat sich zurückgezogen und erfreut sich seines Ruhestands. Sein Sohn ist ebenfalls Schneidermeister und fertigt inzwischen als einziger Vertreter seines Fachs in Hannover Anzüge nach den Regeln der Handwerkskunst. 2005 konnte das Atelier das fünfzigjährige Jubiläum feiern.
Mein Schnittmuster bei Tobias Tailors. Heute hängt es in der privaten Werkstatt von John Coggin, dem früheren Mitinhaber des Hauses (Foto: Bernhard Roetzel) |
Schon als Student habe ich davon geträumt, mir eines Tages so ein Kleidungsstück anfertigen zu lassen. Dass sich dieser Traum nur ein paar Jahre später erfüllen würde, hätte ich damals nicht gedacht. Als ich 1998 den Vertrag mit dem Könemann Verlag in Köln für ein Buch über klassische Herrenmode in der Tasche hatte, führten mich die Vorbereitungen für die Fototermine in die Savile Row. Neben Anderson & Sheppard lag damals das kleine Atelier von Tobias Tailors. Mir gefielen die Schaufensterauslagen und so ging ich hinein. Die beiden Inhaber John Coggin und John Davies waren mir sympathisch, wir kamen ins Gespräch und schließlich bestellte ich einen zweireihigen Anzug aus einem Sportex-Stoff von Dormeuil. Während dieser Anzug in Arbeit war, lernte ich Heinz-Josef Radermacher in Düsseldorf kennen. Er hatte uns freundlicherweise die Erlaubnis gegeben, bei ihm Fotos von der Hemdenmacherei zu schießen. Auch zwischen uns stimmte die Chemie und so orderte ich ihm bei ihm einen dunkelblauen Blazer, dieses Mal aus einer Ware von Scabal.
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