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Hose und Jacke bereit zur ersten Anprobe in Kathrin Emmers Atelier in Potsdam (Foto: Erill Fritz) |
Meinen ersten Anzug von
Kathrin Emmer bezeichne ich gern als präklassisch, denn mit seinen weiten Hosen und der Jacke ohne Schlitze folgt er dem Modebild der 30er und 40er Jahre. Da diese Dekaden als die goldene Epoche der Herrenschneiderei gelten, ist mein Anzug tatsächlich als klassisch zu bezeichnen. Was wir gemeinhin als klassisch beschreiben ist nämlich der britische Anzug der frühen 60er Jahre, wie er z. B. in den ersten James-Bond-Filmen von Sean Connery getragen wird. Schmale Hosen, Zwei-Knopf-Front und Seitenschlitze sind seine Merkmale, der englische Anzug aus den 30ern bis 50ern ähnelte dagegen sehr den Modellen aus Kontinentaleuropa. Die Jacken hatten keine Schlitze, die Hosen waren weit. Dies lässt sich anhand von Alltagsbildern, Illustrationen aus Schneiderfachblättern sowie am Beispiel damaliger Stil-Ikonen wie z. B. des Duke of Windsor, Rex Harrison oder des jungen Duke of Kent nachweisen. Obwohl mein Anzug dem derzeitigen Modebild absolut zuwiderläuft, bekomme ich für ihn erstaunlicherweise viele Komplimente. Zum Teil von Leuten, denen ich im Zug oder bei einem Event begegne, teils auch von Männern aus der Modebranche. Angeblich sollen die weiten Beinkleider demnächst ja auch ein Comeback erleben.
Ich empfehle oftmals, den Schneider zu wechseln, wenn der erste Anzug gut gelungen ist. Die meisten Versuche, das gute Ergebnis beim zweiten Anzug noch zu verbessern, führen nach meiner Erfahrung zu Problemen. Da ich aus verschiedenen Gründen weiter von Kathrin Emmer arbeiten lassen möchte, habe ich mir folglich für den zweiten Anzug nach dem Motto „don’t fix it if it’s not broken“ alle Verschlimmbesserungsideen verboten. Nur bei den Hosen habe ich ein Detail variiert, der neue Anzug bekommt Gürtelschlaufen. Dies machte kleine Veränderungen des Schnitts erforderlich, war mir aber wichtig, da mir Hosenträger mir im Sommer 1) zu warm sind, 2) unter einem leichten Stoff auftragen und 3) das Hemd darunter stark knautscht. Außerdem trage ich unter einem Anzug gern mal einen Pullunder, was mit Hosenträgern in manchen Situationen zu Umständlichkeiten führt. Der erste Anzug war aus weichen Flanell mit Hahnentrittmuster gearbeitet, ein Stoff, der sich als äußerst vielseitig erwiesen hat. Für den Sommeranzug suchte ich ein ähnlich variabel einsetzbares Material, das zugleich luftig und extrem strapazierfähig sein sollte. Als Farbe schwebte mir wieder ein mittleres Grau vor. Im Bündel mit Kid Mohairs von
Holland & Sherry wurde ich fündig. Schneller als erwartet fand nun vor einigen Tagen die erste Anprobe statt. Zusammen mit dem Designer und Fotografen
Erill Fritz machte ich mich also nach Potsdam auf.
Die Hose entsprach genau meinen Vorstellungen. Die Taschen in den Seitennähten fehlten noch, außerdem kommen noch zwei Gesäßtaschen mit Patten hinzu. Ich benutze sie eigentlich nie, Hosen mit Gürtelschlaufen gefallen mir aber besser mit Taschen. Die Jacke erschien mir einen Hauch enger zu sein, was vermutlich am Stoff liegt. Die Balance war perfekt, die Schulternaht wurde geöffnet und neu gesteckt, um die Passform des Revers zu optimieren. Ich bin nämlich ziemlich schief und habe bei entspannter Haltung stets leichte Schlagseite, Doppelreiher von der Stange können bei mir deshalb nie optimal sitzen (auch Maßkonfektionäre bekommen dieses Modell ohne Rohprobe nicht für mich hin). Als Futterstoff wählte ich dann noch einen leicht körnigen grauen Taft aus. Die zweite Anprobe soll in ca. 5 Wochen stattfinden.
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Die Hose sitzt genau über den Hüftknochen. Die Bundweite ist perfekt, das Beinkleid hält auch ohne Gürtel
(Foto: Erill Fritz) |
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Der Mohairstoff ist etwas störrischer als der Flanell, was seine Verarbeitung nicht leichter macht (Foto: Erill Fritz) |
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Kein Tänzchen, ich teste nur die Hosenlänge. Auch bei großen Schritten soll der Saum nicht den Boden berühren
(Foto: Erill Fritz) |
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Klassische Weite über der Brust, auf Englisch bekannt als "drape" (Foto: Erill Fritz) |
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Detailarbeit an der Schulternaht. Kathrin Emmer näht übrigens alles selbst in ihrer Werkstatt in Potsdam
(Foto: Erill Fritz) |
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Mit Kreide werden nötige Änderungen auf dem Stoff markiert (Foto: Erill Fritz) |
2 Kommentare:
Man sieht nicht oft einen Schneidermeister, der Frau ist. Erleben Sie einen Unterschied?
Torsten, Kopenhagen
Früher hätte ich mir nicht vorstellen können, meine Anzüge bei einer Schneidermeisterin machen zu lassen. Ich hatte immer die Idealvorstellung eines älteren Herrn vor Augen, der Maß nimmt und anprobiert. Inzwischen sehe ich den Schneider rein mit fachlichem Auge. Vielleicht sind weibliche Schneiderinnen sorgfältiger bei der Schnittaufstellung und insgesamt selbstkritischer. Das meinte neulich jedenfalls auch Kathrin Emmer.
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