Deutsche Spitzenschneider: Volkmar Arnulf aus Berlin
Volkmar Arnulf aus Berlin ist Schneidermeister und Hobbyhistoriker in Sachen Maßarbeit (Foto: Bernhard Roetzel).
Wie viele Anzüge mag Volkmar Arnulf schon zugeschnitten haben? Seit 1962 hat der in Bernau geborene Berliner den Meisterbrief in der Tasche und ab diesem Zeitpunkt war er auch selbstständig. Das erste Atelier lag am Kurfürstendamm und dort ist er bis heute heimisch, seit 1983 in bester Lage in der Nachbarschaft von Modeboutiquen, Juwelieren und Edelschuhshops. Von den gut 25 Schneidern, die zu Beginn der Sechziger an Berlins Bummelmeile zu finden waren, ist der damalige Newcomer als einziger übrig geblieben. Vielleicht ein Beweis dafür, dass Qualität sich doch am Ende durchsetzt.
Arnulfs Leben ist die Schneiderei, selbst in seiner Freizeit beschäftigt er sich mit historischen Zuschneidesystemen. Außerdem arbeitet er ehrenamtlich als Obermeister der Berliner Innung, mischt beim Bundesverband mit und kümmert sich um die Ausbildung der Lehrlinge. Nebenbei hat er in den letzten 47 Jahren rund 18 Goldmedaillen bei brancheninternen Wettbewerben gewonnen, die „Goldene Schere“ errungen und den „Wanderpokal“, Oscar und Grammy der Maßanzugmacher. Wie er das alles schafft? „Ich habe dreimal so viel wie andere gearbeitet,“ erklärt er trocken. Tatsächlich ist er in seinem Atelier am Kurfürstendamm 46 unter der Woche jeden Tag von früh bis spät bei der Arbeit, falls er nicht gerade einen Kunden im Büro besucht.
Arnulf und seine Frau wohnen „am Stadtrand“, die dezente Umschreibung für das Haus im Bezirk Wannsee. Seit 1962 sind die beiden verheiratet, gerade mal achtzehn war seine Frau damals, im Jahr darauf kam der Sohn. Die zierliche Dame, die stets perfekt frisiert im maßgeschneiderten Hosenanzug auftritt, ist auch im Geschäft seine Partnerin, sie vereinbart Termine, wickelt den Zahlungsverkehr ab und schirmt ihren Mann am Telefon ab. Arnulfs Tag ist voll mit Terminen, denn er ist Kundenberater und Zuschneider in einer Person. Wenn er mal gerade nicht das Maßband schwingt, greift er in der Werkstatt zu Schneiderkreide oder Schere. Jedes Kleidungsstück wird komplett bei ihm im Haus gefertigt, niemals würde er Heimarbeiter beschäftigen. Die fünf Angestellten beschreibt er als seine verlängerten Arme, sie nähen so, wie der Meister selbst die Nadel führt. „Ich habe immer meine Finger mit drin“ bekennt er schmunzelnd. Das ist wörtlich zu verstehen: „ Wir machen so viel mit der Hand, wie es nur irgend geht. Was mit der Hand genäht wird, ist einfach elastischer.“
Arnulf arbeitet noch genauso so, wie es ihm seine Lehrmeister in den Fünfzigern beigebracht haben. In zwei Betrieben hat er Herren-, Damen- und Uniformschneiderei gelernt. Danach ließ er sich von einem Exil-Franzosen in die Kunst des Modellmachens einweisen: „Ich musste nicht nach Paris zur Ausbildung, er hat mir hier in Berlin beigebracht, wie man Haute Couture macht.“ Als Geselle hat Arnulf noch Uniformen für die Offiziere der Besatzungsmächte genäht, heute geht es um Anzüge, Sakkos, Hosen und Mäntel aus feinsten Tuchqualitäten. Wolle, Kaschmir und Vikunja, Baumwolle, Leinen oder Shantung. Und als Futter immer reine Seide. Ein Grundauswahl an Standards wie Nadel- oder Kreidestreifen, Flanell, Fischgrat und verschiedenen Tweeds liegen im Atelier bereit, hunderte weitere Qualitäten sind aus Musterbündeln abrufbar. Arnulf nimmt einen „Coupon“ Kammgarnflanell aus dem Regal und drapiert ihn sich über die Schulter. Während er genüsslich über den Stoff streicht, erklärt er seine Philosophie: „Selbst wenn er Falten wirft, muss er noch schön aussehen, deshalb mache ich mit den Kunden Bewegungsproben.“ Über deren Namen schweigt Arnulf sich diskret aus, Anekdoten werden anonymisiert. Zum Beispiel die über einen adeligen Kunden, der sich für seine Hochzeit den Cut des Großvaters ändern ließ. Das Erbstück wurde einstmals vom Schneider des letzten deutschen Kaisers genäht, Arnulf passte es an den Enkel an. Viel verdient hat er an dem Auftrag nicht aber dennoch etwas gewonnen. Die Einsicht, dass man für Wilhelm II. auch nicht sorgfältiger genäht hat, als 2009 bei Arnulf.
So sehr den Nadelkünstler die Historie seines Berufs interessiert, blickt er immer in die Zukunft: „Man muss sich anpassen, ohne das Eigentliche zu verlieren: Eleganz und Ausdruck.“ Perfekter Sitz und höchsten Verarbeitungsstandard erwähnt er nicht, beides hält er in seiner Liga für selbstverständlich. Als Luxus sieht er sein Handwerk nicht, vielmehr als Ausdruck von Zivilisation: „Zur Hochkultur gehört die Maßschneiderei.“
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