Die PREMIUM in Berlin im Januar 2011 - was vom Messetage übrig blieb
Die Berliner Modewoche umfasst mehrere Messen und zahlreiche Schauen. Ich hatte in diesem Frühjahr nur Zeit für zwei kurze Besuche auf der PREMIUM. Dabei habe ich mich ausschließlich auf der oberen Etage bewegt, also im eher klassischen Bereich. Da ich fast an jedem Stand Freunde oder Bekannte treffen, ist mir ein systematischer Messebesuch allerdings nicht möglich. Ich könnte zwar überall nur kurz verweilen, um in einem Tag alle Stände abzuklappern, da ich jedoch im eigenen Auftrag unterwegs war, habe ich mir die Freiheit genommen, vollkommen willkürlich und von Augenblickslaune und Zufall gesteuert umherzuschlendern. Meine Eindrücke von der Messe entbehren deshalb auch jeder Vollständigkeit und sind extrem subjektiv.
Zunächst zur Kleidung der Aussteller und Besucher. Die Hosen überwiegend schmal und kurz, die Sakkos bedecken selten noch das Gesäß. Krawatten sind eine Rarität, stattdessen herrscht gepflegte Lässigkeit, auch bekannt als "smart casual". Also der mittlerweile sattsam bekannte Schal anstelle des Binders. Nur wenige zeigten sich mit korrekt gebundener Krawatte. Einer von ihnen war Wolfgang Siek, Inhaber des Herrenausstatters Backs & Co. aus Bad Oeynhausen. Er beklagte, dass die meisten Kollegen aus der Branche so wenig Eleganz an den Tag legten. Von Umberto Angeloni, der höchstpersönlich am Stand von Caruso anwesend war, konnte man das nicht sagen. Er demonstrierte in seinen blauen Anzug sehr überzeugend, dass sich Modernität und Förmlichkeit nicht ausschließen. Der Aachener Schuhdesigner Dieter Kuckelkorn gehört ebenfalls zur rar gewordenen Spezies des elegant gekleideten Modemachers. Seine Erscheinung im Flanell-Dreiteiler mit roten Kreidestreifen wirkte raffiniert und hob sich angenehm ab vom üblichen Look.
Da ich derzeit das weitere Beinkleid sehr liebe und eine Rehabilitierung der Bundfaltenhose prognostiziere, sprach ich Matthias Rollmann, Direktor bei Scabal, auf seine Hosen an. Und siehe da, auch sie waren mit einer Bundfalte ausgestattet. Die meisten Modeleute signalisierten jedoch allenfalls aus Höflichkeit Zustimmung zu meiner These, die meisten glauben weiter an die Hose mit flachem Bund. Ins Auge fiel mir bei Scabal das schneidermäßig verarbeitete Spitzenanzugmodell No. 12 Savile aus sardischer Fertigung. Ich denke, dass die Qualität sich auf dem Level von d' Avenza oder Brioni bewegt, die Modelle sind italienisch ausgeformt aber gut auf den deutschen Leib abgestimmt.
Bei Belvest empfingen Andreas Kauers als Abgesandter aus Italien und der deutsche Agent Blasius Marx die Kunden und Interessenten. Auf die Anzugfirma aus Piazzola sul Brenta wurde ich erstmals Ende der Neunziger Jahre durch den Krawattenmacher Michael Drake gestoßen. Er bezog schon damals einen großen Teil seiner Anzüge aus der Manufaktur, die für namhafte Luxushäuser fertigt. In Deutschland Belvest z. B. bei dem Kölner Herrenausstatter Flüss & Fischer zu haben. Meine persönlichen Erfahrungen mit den Anzügen sind sehr gut, die Qualität ist hoch und die Fehlerquote lag bei Maßbestellungen bisher bei 0 Prozent.
Der Hemdenmacher Emanuele Maffeis ist in Deutschland selbst vielen Kennern immer noch unbekannt. Das liegt vermutlich an der Dominanz neapolitanischer Label, als Hersteller aus Bergamo wird man da schlicht nicht so richtig beachtet. Dabei ist die Qualität des Produkts hoch. Mit Paolo Maffeis sprach ich über die unterschiedlichen Auffassungen von Passform in Deutschland und Italien. Bei uns dominiert die Slimfit-Form zwar die jungen Sortimente, der Deutsche an sich bevorzugt nach wie vor die etwas weitere Form. In Italien ist wenigstens im gehobenen Genre eher der körpernahe Schnitt mit Abnähern am Rücken üblich. Meine persönliche Vorliebe für weiche, unfixierte Kragen geht eher in die italienische Richtung, der deutsche Käufer empfindet sie in der Regel als zu wellig und damit ungepflegt. Allerdings ist es eine Mär, dass alle Italiener den weichen Kragen lieben, auch dort empfinden viele Geschäftsleute den glatt geklebten Kragen als korrekter.
Francesco Maglia beklagte wie in jedem Jahr den Niedergang der Schirmkultur und die Konkurrenz aus China, zum Glück scheint es trotzdem noch genügend Kunden für sein scheinbar altmodisches Produkt zu geben. Der in Modekreisen geradezu berühmte „ombrellaio“ zeigte für den kommenden Herbst einige Modelle mit in farbigen Ledersorten bezogenen Griffen. Daneben natürlich auch die bewährten Klassiker für den Herrn mit durchgehendem Stock und schwarzem Bezug. Francesco Maglia selbst präsentierte sich wie immer als die italienische Interpretation des englischen Gentleman mit karierten Tweedhosen und neuerdings einem Zwicker.
Bernd Kreis macht an seinem Stand starken Eindruck mit hochwertig verarbeiteten Aktentaschen. Ein Bügelmodell gibt es noch nicht, dafür verschieden Mappenvarianten. Englandfans mögen immer noch Swaine Adeney vorziehen, in Sachen Qualität und Vielfalt an Optionen für die Einzelanfertigung übertrumpft der kleine Anbieter aus Obertshausen bei Frankfurt am Main meines Erachtens die Briten ganz eindeutig. Das scheinen auch die Einzelhändler zu honorieren, die Taschen sind laut Kreis jedenfalls ein stark wachsendes Segment neben den Gürtel und Kleinlederwaren. Sehr verlockend auch die Leibriemen aus Exotenledern mit geschmackvollen Schließen aus Silber oder sogar Weißgold. Sichtbare Logos gibt es nicht, für Prahlhänse sind Kreis-Gürtel also nichts. Eher etwas für Leute, die den Preis ihrer Accessoires lieber nicht publik machen möchten.
Da ich an beiden Tagen Kinder mit zur Messe gebracht hatte, suchte ich für sie Unterhaltung. Sakkos und Gürtel sind nun mal wenig attraktiv für Schulmädchen. Umso interessanter war der Indianer Greg Dreaver aus Kanada am Stand seines Schuhlabels Manitobah. Von ihm lernte ich, dass man zunächst einmal mehr gar nicht "Indianer" sagt, er selbst nennt sich und seine Landsleute "first people". Außerdem erklärte er mir die große Bedeutung des Adlers. Weil der nämlich hoch am Himmel fliegt, kommt er dem höchsten Wesen der "first people" nah und wird deshalb verehrt. Die Schuhe, die der trotz des Stammesgewandes sehr geschäftstüchtig wirkende Kanadier anbot, basieren auf uralten Formen seiner Kultur. Für das sportliche und modische Sortiment interessant und teilweise durchaus kompatibel mit klassisch amerikanischer Sportswear.
Meine Vorliebe für Hosen mit Bundfalten demonstrierte ich auch am zweiten Messetag. Ich hatte einen Einreiher aus einem eher leichten Stoff von Reid & Taylor gewählt, da es doch recht warm in der Halle war. Wiederum bei Scabal wurde die Berliner Maßkonfektionsanbieterin Isa von Massenbach auf mein von englischen Hosenträgern gehaltenes Beinkleid aufmerksam. Als Freund traditionell gefertigter Kleidung durfte ich bei Scabal, einem Stoffhaus, das die besten Schneider der Welt beliefert, ruhig ein Loblied auf das Handwerk der Kleidermacher singen. Immerhin liefern die einem immer noch Hosen, die bei Konfektionären kaum zu bekommen sind.
Bernhard Roetzel
1 Kommentare:
Ich finde die Ärmellöcher von Belvest furchtbar groß. Die Bewegungsfreiheit ist dadurch stark eingeschränkt. Sogar auf die Werbephotos von Belvest ist das klar ersichtlich.
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite