Freitag, 21. November 2014

Bin ich bereit für den Maßschneider?

Soll der Schneider oder die Schneiderin dem Kunden bei der Stoffauswahl helfen? Ja. Aber nur, wenn es sein muss (Foto: Erill Fritz)

Viele Männer, die sich eigentlich einen Anzug vom Maßschneider leisten könnten, schrecken davor zurück. Am Preis der Maßschneiderei liegt es selten. Denn nur in Ausnahmen machen Herren den Sprung vom 199-Euro-Anzug zur Handwerksarbeit, die in Deutschland im Schnitt ab ca. 2700 Euro zu haben ist (für einen zweiteiligen Anzug). In der Regel ziehen Männer den Schneideranzug in Betracht, die bereits zwei bis dreitausend Euro für Maßkonfektion oder handgemachte Kleidung von der Stange ausgeben. Ich glaube, dass viele Maßkandidaten aus Angst vor den zahlreichen Entscheidungen, die sie beim Schneider treffen müssten, den Weg zum "bespoke tailor" scheuen. Bevor jemand einen Handwerker beauftragt, sollte er folgende Fragen mit großer Entschiedenheit beantworten können:

1. Haben Sie Bedarf an einem Anzug?
Man denkt nicht wirklich über einen Anzug nach, wenn man zufrieden mit dem Inhalt seines Schranks ist. Und wenn man nicht nachdenkt, kann man sich auch nicht entschließen.

2. Wissen Sie, welches Modell Ihnen vorschwebt?
Ein- oder Zweireiher? Mit oder ohne Weste? Welche Hosen werden bevorzugt? Mit Gürtelschlaufen oder für Hosenträger zugeschnitten?

3. Haben Sie eine ungefähre Vorstellung von dem Stoff
In jedem seriösen Schneideratelier liegen wenigstens ein Dutzend Stoffmusterbündel zur Durchsicht bereit. In einigen großen Ateliers kann der Kunde sogar Stoffe am Stück in die Auswahl mit einbeziehen. Dies wirkt manchmal aber abschreckend. Hier muss der Schneider beraten. Sonst fühlt man sich wie der Biertrinker vor der Weinkarte. Unter mehr als drei Stoffen können nur wenige auswählen, vor fünf bis zehn Optionen kapitulieren die meisten.

4. Können Sie in Worte fassen, welche Vorstellung Sie vom Aussehen des Anzugs haben? Oder können Sie wenigstens sagen, wie Sie in dem Anzug wirken wollen?
Es gibt Schneider, die jedem Kunden ihren Lieblingsschnitt aufdrücken wollen. Entweder, weil sie sich für unfehlbar in Stilfragen halten. Oder, weil sie nur einen Schnitt beherrschen. Gute Schneider wünschen sich aber einen Kunden, mit dem sie sich austauschen können oder an dem sie sich sogar reiben können. Austausch oder Reibung setzt aber voraus, dass der Kunde eine Vorstellung hat. Die muss nicht jedes Detail umschließen. Es hilft aber, wenn man wenigstens sagen kann, dass man sich einen Anzug wünscht, der den Zweiteilern von Sean Connery im ersten James-Bond-Film ähnelt. Oder einen Anzug, wie ihn der Mann mit der Melone im Film "Die Olsenbande" trug (das letztere Beispiel ist aus dem Leben gegriffen, ein Kunde von Kathrin Emmer nannte es als Referenz). Mit solchen Angaben kann der Schneider etwas anfangen. Man kann auch Bilder mitbringen oder Filme von YouTube zeigen.

Wer sich diese Fragen nicht beantworten kann, sollte noch ein wenig weiter nachdenken. Wer sich aber über alles klar ist, sollte den Gang zum Schneider wagen.






6 Kommentare:

Anonymous Anonym meinte...

Zum Preis: In Deutschland ab 2.700 €, in England aber erst ab 4.500 Pfund (also in etwas 5.600 €) - liege ich damit in etwa richtig? Wenn ja, dann stellt sich mir die Frage, was die englischen Schneider besser machen als die deutschen oder italienischen (in welche Preiskategorie letztere einzuordnen sind, weiß ich leider nicht).
Sind es die höheren Stundenlöhne (unwahrscheinlich)? Oder die Mieten in der Savile Row, die sicherlich noch höher sind als die in Berlin oder Potsdam?

Vielen Dank im Voraus (schon für den Versuch einer Antwort) !

25. November 2014 um 04:07  
Blogger Unknown meinte...

Die Preise in der Savile Row haben vor allem mit Raum- und Personalkosten zu tun. Aber auch mit dem Prestige der dortigen Firmen. In anderen Teilen Londons und außerhalb der Hauptstadt finden sich auch günstigere Schneider.

25. November 2014 um 04:29  
Anonymous Anonym meinte...

Aha, also doch: Etwas zugespitzt formuliert bezahle ich dort mehr, weil die Savile Row eben die Savile Row ist und die dort ansässigen Schneider schon allein vom Standing her teurer sein müssen als ihre nicht ganz so berühmten Kollegen. Das was eigentlich zählt, nämlich das Produkt (= Schneiderware) ist bei letzteren nicht unbedingt schlechter (?) Trifft das den Sachverhalt?

Vielen Dank!

25. November 2014 um 04:51  
Blogger Unknown meinte...

So ist es. In London, Wien, Mailand, Paris und München. Man zahlt an den berühmten Adressen für Namen, Geschichte, Lage und Interieur mit. Das ist aus Sicht der berühmten Ateliers auch legitim.

25. November 2014 um 05:32  
Anonymous Anonym meinte...

"Das ist aus Sicht der berühmten Ateliers auch legitim." - Ja,wer aus Statusgründen auf große Namen Wert legt, muss wohl auch bereit sein dafür mehr zu zahlen. Für wen aber nur die Güte des Produkts entscheidend ist, kann auch mit einem "namenlosen" Schneider glücklich werden.
Allerdings sollte natürlich gerade bei einem "geschichtsträchtigen" Atelier die Qualität an erster Stelle stehen. Leider scheint aber gerade das nicht automatisch gewährleistet zu sein... Wer diesbezüglich im Web sucht, wird in den einschlägigen Blogs so manche Klage finden.

25. November 2014 um 06:33  
Anonymous Frank meinte...

Habe selber in London im Laufe der Jahre bei verschiedenen Schneider Anzüge (2-Teiler) anfertigen lassen. Preise von 1000 GBP für den billigen "Stadtschneider", ca. 3600 GBP für den guten aber nicht Savile Row, und nun bei einem Schneider an der Savile Row angekommen (4000 GBP). Die Savile Row schlägt ganz klar die anderen. Wie denn? Nun in Zeitaufwand, Präzision während der Anproben, Materialwahl (Futter, aber auch besseres Leinen, das nur beim Schneider an der Savile Row vorher gewaschen worden war) und Techniken (Aufbau des Sakkos mit der Maschine, bzw. Innenleben des Sakkos mit groben Stichen bzw. mit sehr feinen, zeitaufwändigen Stichen genäht). Der billige Schneider konnte auch keine konstante Qualität gewährleisten, mal war die Hose zu weit, das Sakko unten zu breit. Der "mittlere" (nicht Savile Row) war schon viel seriöser, um viele Male besser. Trotzdem gab's auf die Dauer immer mehr kleinere Sachen zu beanstanden, etwa weil ein zu leichtes Futter vorgeschlagen wurde, das dann nicht lange hielt usw., was zwar kostenlos ausgebessert wurde aber eben auf die Dauer nervte. Letztendlich musste ich feststellen, dass der Schneider an der Savile Row eine dem Preis gerechte Qualität liefert, also wirklich das beste PLV bietet. Es geht dann um Aufbau des Sakkos, um seriösere Beratung, um bessere Kenntnisse. Von den 3 Schneidern spürte ich nur beim letzten eine wirkliche Hingabe und eine Haltung, wobei immer das Produkt zentral steht, denn der "mittlere" ist dabei, sich zu einem "Brand", sprich Markenlabel zu entwickeln und der billige muss viel produzieren, damit es sich lohnt. Aber wie soll man das als Neuanfänger wissen, kennt man doch den Aufbau eines Sakkos (und die vielen Möglichkeiten, es sich leichter zu machen) nicht. Dies ist nur mein persönliches Erlebnis bei nur 3 Londoner Schneidern, in meinem Fall zeigte sich aber bestimmt, dass der teuerste Schneider der weitaus beste ist.

20. März 2015 um 13:57  

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